Die Königsklasse eines Stadtgeigenbauers ist und bleibt der Neubau. Neben all den anfallenden Reparaturen und Einstellungen, den Neubehaarungen, den Umbauten und den Restaurationen von alten, historischen Instrumenten gehört der Neubau zu den absoluten Herausforderungen, denen ich mich immer mit grösstem Genuss hingebe. Gemeint ist nicht etwa der Neubau eines Kontrabasses in herkömmlicher Form und bekanntem Mass. Nein, ich schreibe hier von einem Neubau einer meiner eigenen Erfindungen, einer Verschmelzung von Cello und Kontrabass, dem „Drop“! Dieses handliche Instrument bietet bei bescheidensten Abmessungen einen unglaublichen Tonumfang vom Kontra-F bis ins dreigestrichene f hinauf. 1987 zum ersten Mal für den Cello Virtuosen Martin Schütz ( Siehe Bild ) gebaut, erfreut sich dieses tropfenförmige ( deswegen „The Drop“ ) Instrument äusserster Beliebtheit.
Der Bau ist sehr aufwendig, macht aber irrsinnig Spass. Wenn man nicht eben von teuflischen Rückenschmerzen geplagt wird ( meine Verletzung durch den Umzug in ein Provisorium 2015 ) so kann man kaum mehr aufhören mit dem Bau dieser Schönheit. Als Erstes zeichne ich das Instrument in drei Rissen genau auf starkes Papier auf und klebe diese Zeichnung auf eine solide Schichtholzplatte auf. Sie wird mich jetzt eine Zeit lang begleiten. Das Holz habe ich schon aus dem Lager geholt und gemessen. Eine absolute Feuchte von maximal 7% ist ideal. Das Holz liegt seit 20 Jahren in meinem Lager. Aus dem grossen Ahornklotz säge ich nun den Hals grob heraus.
Aus dem Rest des grossen Halsblockes aus dem harten Ahorn schneide ich nun zwei Bretter, klappe Sie wie ein Buch auseinander und verleime sie in der Mitte zu einem Stück, das den Rücken bilden wird. Aus einem schönen Brett Fichte schneide ich die gleichen Teile und verleime sie wiederum mit einer Mittelnaht zu der Decke. Mit Wölbungshobeln verschiedener Grösse und Hohleisen von wechselnden Rundungen arbeite ich die Wölbungen aus.
Ein feiner Adergraben wird in aufwendiger Handarbeit in den Rand des Rückens und der Decke gestochen. In diesen Graben wird ein dreiteiliger Span eingelegt, die sogenannte Ader. Sie besteht aus zwei Ebenholz- und einem Ahornspan und trägt massgeblich zur Rissverhinderung und zur Tonbildung des Klangkörpers bei. Eine sorgfältige Verarbeitung ist hier ein Muss, denn jede Ungenauigkeit wird unter dem Lack später sofort sichtbar sein.
Mit einer grossen Druckform ( sie passt nicht aufs Bild ) habe ich den Zargenkranz gebogen. Der Oberklotz hat keinen einzigen rechten Winkel und muss mit seinen vielen Schrägungen perfekt passen. Das mittlere Brett dient nur der Lagerung der Zarge und verhindert das gefürchtete Verbiegen der dünnen Zargenwände. Es wird vor dem Verleimen weggenommen. Schon jetzt ist die prächtige Flammung des Ahorns sichtbar. Diese Eigenart im Wuchs des Baumes wird im Geigenbau gerne verwendet. Das Holz wechselt seine Maserung bei der geringsten Aenderung des Blickwinkels radikal und erzeugt so eine lebendige Oberfläche. Die Zarge ist wie eine Sprungfeder und bildet den eigentlichen Energiekörper des Instrumentes.
Die Verleimung der einzelnen Teile bilden nun das eigentliche Instrument. Dieser Moment wird im Geigenbau sehr treffend mit dem Ausdruck „weisses Instrument“ beschrieben. Das Holz trägt noch keinen Lack und tönt sehr rein und schön. Um das Holz aber vor Umwelteinflüssen zu schützen, ist eine Lackierung nötig. In vielen Schichten und mit unzähligen Zwischenschliffen wird ein natürlicher Lack aufgetragen, der auch noch nach Jahrzehnten weich und geschmeidig bleibt und das Holz nicht am Schwingen hindert. Die Lackierung ist eine zeitraubende Arbeit und erfordert viel Geduld und eine ruhige Hand. Zudem muss jede Schicht lange trocknen, bevor weiterer Lack aufgetragen werden kann. Dies erfolgt nur mit einem Marderhaar Pinsel. Die aus der Industrie bekannte Spritzpistole kann man dazu nicht verwenden.
Nach der Lackierung muss das Instrument mindestens einen Monat ruhen. Nach dem Grifftest wird der Drop spielfertig gemacht. Das Griffbrett wird abgerichtet und ein erstklassiger Steg wird luftdicht auf die Decke gepasst. Nachdem die Saiten aufgezogen sind, fängt die Einstellarbeit erst richtig an. Die Höhe jeder einzelnen Saite sowohl beim Obersattel wie auch beim Steg muss exakt stimmen. Auch die Wölbung des Steges ist gerade bei einem 5-Saiter von äussester Wichtigkeit um eine angenehme Bespielbarkeit zu gewährleisten. Diese Arbeiten sind entscheidend für den Musiker. Auch wenn er sich der einzelnen Arbeitsschritte nicht bewusst ist, entscheidet die Einstellung des Instrumentes über sein Wohlbefinden, seinen Sound und letzendlich auch über die Musik, die Er oder Sie auf diesem Instrument spielt.
Der grosse Tag der Uebergabe ist gekommen und die Musikerin Babette Werth ist angereist um Ihren „Drop“ zu übernehmen. Es ist ein besonderer Tag, nicht nur für Babette, auch für mich. Ich habe lange und intensiv an diesem Drop gearbeitet und wie jedes Instrument, das ich gebaut habe, ist er mir doch etwas ans Herz gewachsen. Aber ich sehe sofort, das er in gute Hände kommt und auch Babette mag den Drop sofort. Wir probieren die verschiedensten Einstellungen am Tonabnehmer und Sounds aus und so vergeht der Tag schnell. Babette macht sich mit dem Drop auf ihren Heimweg und auch ich kehre noch in die Werkstatt zurück, lösche die Lichter und schliesse die Läden.
In diesem Sinne, viel Spass und bis gleich wieder mal hier auf meinem Kontrabassblog
Giorgio Pianzola, Kontrabassbauer
© Copyright Text und alle Fotos, Giorgio Pianzola Bern 1987, 2017, 2018